Pressebericht: Der Streit ums Styropor – Bremer Dachdecker bangen nach neuer Abfallverordnung um ihre Existenz

Pressebericht des Weser-Kurieres vom 26. Nov. 2016

Die Bremer Dachdecker können vorerst aufatmen: Seit Ende Oktober dürfen sie das Styropor, das auf ihren Baustellen als Abfall anfällt, wieder ganz normal entsorgen. Die Entsorgung des weißen Dämmstoffs sorgt seit fast zwei Monaten bundesweit für Streit. Was nach einem kleinen Umweltfall klingt, kann für die handwerklichen Betriebe große Auswirkungen haben. Laut Rudolf Behr, Obermeister bei der Dachdecker-Innung Bremen, geht es um nicht weniger als ihre Existenz.

Was ist passiert? Seit dem 30. September gilt in Deutschland eine Verordnung des Bundesrats, nach der Styropor, wenn es mit dem Stoff HBCD belastet ist, getrennt als Sondermüll entsorgt werden muss. Deutschland setzt damit eine Verordnung der Europäischen Union (EU) um. HBCD ist ein Flammschutzmittel, das laut Umweltbundesamt langfristig und in höheren Konzentrationen gesundheitliche Schäden verursachen kann. Menschen, die in Häusern mit solcher Dämmung leben, müssten aber keine negativen Effekte befürchten. Bei Dachdecker-Arbeiten müssen stets große Mengen des belasteten Styropors entsorgt werden. Es soll laut der neuen Verordnung separat verbrannt werden – dafür benötigen Müllverbrennungsanlagen eine spezielle Zulassung, ebenso wie die Entsorgungsunternehmen für den Transport des Materials. Im Oktober kam es deshalb bundesweit zu Engpässen bei der Entsorgung. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) sprach von einem „Entsorgungsnotstand“.

Wenn das Styropor getrennt von anderen Stoffen entsorgt wird, spricht man von Monochargen. Diese könne das SWB-Müllverbrennungskraftwerk in Bremen aus technischen Gründen nicht entsorgen, sagt SWB-Sprecher Christoph Brinkmann. Da die Verbrennungsanlagen den Müll nicht annahmen, weigerten sich auch die Entsorgungsbetriebe, diesen abzutransportieren, erklärt Dachdecker Rudolf Behr. Somit seien die Dachdecker in Bremen im Oktober auf großen Mengen Abfall sitzen geblieben. Die Betriebe hätten den Stoff zwischenlagern müssen, Baustellen standen still. „Wir hatten Aufträge und Mitarbeiter, aber konnten nicht arbeiten“, sagt Behr. Die finanzielle Unsicherheit war zu groß. „Wir entsorgen normalerweise eine Tonne Material für etwa 160 Euro“, sagt Behr. Nach dem 1. Oktober seien die Preise teilweise auf 3000 bis 5000 Euro pro Tonne gestiegen. Das sei existenzbedrohend. „Da hat die Politik wieder mal etwas nicht zu Ende gedacht, und die Kollegen leiden darunter.“

Bremen hat jedoch eine Lösung gefunden. Und die heißt: Weiter so wie bisher, sagt Rainer Bewer, Referatsleiter beim Umweltsenator. „Es ist eine Übergangslösung, die wir noch mit unseren Juristen und den anderen Bundesländern besprechen.“ Es gehe Bremen darum, die bisherige Entsorgungspraxis beizubehalten und zu legalisieren. Dabei wird das Styropor als untergeordneter Bestandteil von anderen Bauabfällen verbrannt. Unter den norddeutschen Bundesländern gebe es unterschiedliche Meinungen – manche nähmen das Thema sehr formal, sagt Bewer. Bremen bevorzuge jedoch eine pragmatische Lösung. „Giftige Stoffe muss man verbrennen, das ist richtig. Aber wir sind der Meinung, dass es nicht so kompliziert sein muss.“ Dass Bremen den Betrieben bis zu einer endgültigen Einigung erlaubt, mit ihrer Praxis fortzufahren, sei rechtskonform, betont Bewer. Es sei auch nicht umweltschädlich, da die HBCD-haltigen Stoffe auch bisher gut entsorgt worden seien. Gefährlich seien im Gegenteil die Monochargen, die durch die neue Verordnung entstehen würden. Die Engpässe bei der Entsorgung seien vor allem durch eine „emotionale Reaktion“ entstanden. „Da gibt es Abfälle, die auf einmal als gefährlich gelten, und niemand will sie mehr annehmen ohne Rücksprache zu halten“, sagt Bewer.

Die SWB und die Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft (BEG) hätten sich aber umgehend Genehmigungen für die Entsorgung besorgt. Nach Angaben des Industrieverbands Hartschaum nehmen in Deutschland derzeit 37 Anlagen das belastete Styropor an. Dachdeckermeister Rudolf Behr ist zufrieden, dass in Bremen schnell eine Lösung gefunden wurde. Die Dachdecker-Innung Bremen hat sich am 27. Oktober mit den Entsorgungsbetrieben, der SWB und Vertretern des Umweltsenators an einen Tisch gesetzt. Seit dem 29. Oktober laufe nun alles wieder, sagt Behr. „Alle haben sehr konstruktiv gehandelt.“ Bremen sei damit sogar Vorreiter in Deutschland gewesen. Inzwischen haben nach Angaben der BDE fast alle Bundesländer die Entsorgung von HBCD-haltigem Styropor erleichtert, allerdings überall mit unterschiedlichen Regelungen. Lediglich in Hamburg sei noch gar nicht gehandelt worden. Das Problem sei auch in Bremen nur vorläufig beseitigt, warnt Behr. „Wenn die Landesregierung die Übergangslösung nicht mehr vertreten kann, schwebt das Bundesgesetz immer noch über uns.“ Das Bundesland Sachsen hat jedoch bereits angekündigt, das Problem HBCD bei der Umweltministerkonferenz Anfang Dezember beraten zu wollen, um einen verbindlichen Rechtsrahmen für alle Beteiligten zu schaffen. Und der BDE fordert die Länder auf, die Regelung im Bundesrat rückgängig zu machen. Es dürfe nicht bei einem „gesetzgeberischen Flickenteppich“ bleiben. „Da hat die Politik wieder mal etwas nicht zu Ende gedacht.“ Dachdecker-Obermeister Rudolf Behr. 

 

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